Perspectief 2017-37

Perspectie 54 Jeonghun Michael Shin die Möglichkeit hatte, mit einem breiteren Publikum unmittelbaren Kontakt zu halten. Nur einige Tiefgläubige scheuten den langen Weg zu den Tempeln in den Bergen nicht. Daher konnte der Buddhismus in der Gesellschaft kaum großen Einfluss ausüben. Ferner lehrt der Buddhismus die Selbsterlösung durch Erleuchtung, während der Schamanismus eher von einer Abhängigkeit der Menschen von mächtigen Geistern ausgeht, so dass sich eine gewisse Spannung zwischen den Lehren des Buddhismus und der genuinen Religiosität der Koreaner ergibt. Der Konfuzianismus, der wie erwähnt von der Choseon-Dynastie zur neuen Nationallehre gemacht wurde, betont das persönliche Selbst-Kultivieren und das harmonische Zusammenleben in einer ideal organisierten Gesellschaft. Obwohl der Ahnenkult dem Konfuzianismus einen gewissen religiösen Charakter verleiht, konnte er als Religion den Buddhismus nicht ersetzen, weil er sich zu sehr mit Fragen des Diesseitigen auseinandersetzt. In dieser Situation konnte die Bevölkerung nur bei dem in die Berge verdrängten Buddhismus oder den von der Regierung verachteten und in einer primitiven Form am Leben gebliebenen Schamanismus ihr Verlangen nach Transzendenz stillen. So entstand ein religiöses Vakuum unter der Bevölkerung. In dieser Lage erreichte das Christentum ebenfalls von China kommend am Ende des 18. Jh. die koreanische Halbinsel. Unter dem Vorwand der konfuzianischen Ethik verfolgte die Regierung 100 Jahre lang katholische Christen sehr grausam, die aber die Verfolgungen überlebten und schließlich 1887 die Missionsfreiheit gewannen. Protestantische Missionare hingegen kamen nach Korea infolge des Vertrags zwischen den USA und Korea von 1882. Entgegen dem Beispiel der lang verfolgten katholischen Kirche betrieben sie eine indirekte Mission, nämlich mit medizinischer Arbeit und durch Errichten der Schulen. Am Ende der Choseon-Dynastie(1900-1910) hatten die von protestantischen Missionare gegründeten Grundschulen einen Anteil von fast 90% aller Grundschule des Landes. Unter den 33 Repräsentanten des Landes, welche die Unabhängigkeitserklärung im Rahmen der „Bewegung der ersten März“ im Jahre 1919 verkündeten, befanden sich 16 Protestanten. So schnell hatten die protestantischen Christen in der koreanischen Gesellschaft Fuß fassen können. Es waren jedoch nicht nur kulturelle Faktoren wie Medizin und Ausbildung, sondern vor allem religiöse Inhalte, die zum Erfolg der christlichen Mission beitrugen. Der christliche Glaube mit seinem einzigen Gott entsprach sehr gut dem religiösen Verlangen

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