Perspectief 2017-37

Perspectief 34 Bisschop Martin Hein gegenwärtige oder künftige Gestalten von Kirche zu legitimieren – wie ja überhaupt der Beweis aus dem „Alter“ eines Gedankens oder einer Struktur unzulässig ist. Einfach gesagt: Früher war nicht alles besser, nur weil es früher war. 8.2. Bildung Der zweite bleibende Ertrag ist die hohe Bedeutung der Bildung für den Glauben. Die Reformation war so etwas wie eine Alphabetisierungskampagne und eine Bildungsoffensive. Die protestantischen Universitäten verstanden sich als theologische Exzellenzcluster zur Ausbildung eines gelehrten Klerus. Die Volksbildung als notwendiges Pendant dazu wurde über die Gründungen von Schulen initiiert. Glaube ist gebildeter Glaube, wobei hier kein akademischer oder formaler Begriff von Bildung gemeint ist, sondern die Erziehung zur Selbständigkeit. Wie sehr das zutrifft, erleben wir derzeit sehr deutlich: Religiöse Unbildung führt zu krassen Fehleinschätzungen der Bedeutung von Glauben und Religion, was für eine säkulare Gesellschaft verheerend ist. Ihre Früchte sind ein aggressiver Säkularismus auf der einen Seite, Fundamentalismus und Radikalisierung auf der andern Seite. Das heißt: Wie immer wir die Kirche in den kommenden Jahrzehnten gestalten, die Bildung muss, auf allen Ebenen, eine entscheidende Rolle spielen. Sie ist, wenn man so will, die Bedingung der Möglichkeit von „Mission“ im weitesten Sinn. 8.3. Kultur der Diskursivität Der dritte bleibende Impuls ist die Kultur der Diskursivität und des Ertragens von Ambiguität. Es gibt in den Kirchen der Reformation kein Lehramt, das letztgültig entscheidet, weil sich die Wahrheit der Heiligen Schrift im Diskurs der glaubenden Gemeinschaft enthüllt. Sie wird im Bekenntnis – vorläufig! – niedergelegt. Die Rolle des ordinierten Amtes muss in diesem Kommunikationszusammenhang immer wieder bestimmt werden, wenn es nicht doch eine systemische Vorrangstellung bekommen soll. Die Kirchen der Zukunft werden keine „Pastorenkirchen“ sein können! Wir müssen genauer hinsehen, ob der Göttinger Kirchenhistoriker Thomas Kaufmann nicht doch Recht hat, wenn er konstatiert, dass wir, etwa mit den parochialen Strukturen, noch viel Mittelalter mit uns herumschleppen.

RkJQdWJsaXNoZXIy MzgxMzI=