Perspectief 2018-41

Perspectief 22 Dr. Katharina Kunter 1970er Jahren einen tiefgreifenden Transformationsprozess, sondern auch die ökumenische Theologie. Anders als in der Anfangsphase der ökumenischen Bewegung der 1920er Jahre, als die beiden ökumenischen Bewegungen „Glaube und Kirchenverfassung“ und „die Bewegung Praktisches Christentum“ jeweils für die getrennten Bereiche der Theologie und des christlich-sozialen Einsatzes standen, kam es nun im Ökumenischen Rat der Kirchen zu einer Vermischung dieser beiden Bereiche. Dies führte zu Konflikten: War man dabei „über der ‚Horizontalen’ der kirchlichen Weltverantwortung den eigentlichen Lebensgrund der Kirche, das Gottesverhältnis, also die ‚Vertikale’, zu vernachlässigen“? 23 Diese Debatte wurde stellvertretend auf der Konferenz für Glauben und Kirchenverfassung 1971 in Löwen zwischen dem russisch-orthodoxen Theologen John Meyendorff und dem lateinamerikanischen reformierten Theologen José Míguez Bonino geführt. Die Kritik an Meyendorffs Vortrag von Míguez Bonino war unüberhörbar: nicht der Rückzug in das Theologisieren, sondern nur das sich Hineinstellen in die Konflikte der Welt könne die Kirchen – und damit auch die Menschheit – zusammenführen. Dies setze eine Theologie „von unten“ voraus, d.h. eine Theologie aus der Perspektive des Kreuzes. In der Folgezeit vollzog die ökumenische Theologie einen Paradigmenwechsel, der sich zunehmend mehr an einer Kirche der Armen und der lateinamerikanischen Befreiungstheologie orientierte. Das bedeutete den teilweise radikal erzwungenen Abschied der bis dahin dominanten angelsächsisch-liberalen Interpretation der Menschenrechte im Ökumenischen Rat der Kirchen. Sie wurde ersetzt durch Diskussionen und Debatten um die zweite Generation der Menschenrechte, die sozialen Menschenrechte und in ihrem Kontext um soziale Gerechtigkeit. Zurückzuführen war diese Umorientierung vor allem auf drei Faktoren: a) die parallel verlaufenden Diskussionen und Diskurse in den verschiedenen Organisationen der UNO (der Ökumenische Rat der Kirchen hatte und hat seine Büros in Genf in unmittelbarer Nähe zu den in Genf gelegenen Unterorganisationen; es gab und gibt zahlreiche institutionelle und personelle Kooperationen), b) die mit der Dekolonisierung einhergehende zunehmende Repräsentanz von Kirchen der sog. „Dritten Welt“ und der von ihnen mit Vehemenz vertretene Primat der „sozialen Gerechtigkeit“, c) dem Aufstieg engagierter (und durchaus partiell staatskonformer) DDR- und Ostblockvertreter, die sich in den politischen Diskussion für die sozialen Menschenrechte stark machten und dabei auf viel Sympathie stießen.

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