Perspectief 2018-41

Perspectief 20 Dr. Katharina Kunter gerade aus den Ländern der „Dritten Welt“, in denen Kirche und Religion nicht in einer säkularen Legitimationskrise steckten. 20 Diese Einsicht lässt weiter fragen, inwiefern der Kalte Krieg in der bisherigen ökumenischen Geschichtsschreibung überhaupt angemessen historisch erfasst wird. Die meisten Arbeiten, durchaus legitim, betonen vor allem die Dichotomie zwischen West und Ost aus einer europäischen Perspektive. Gleichwohl finden sich dabei auch Vorstellungen, die eine angemessene Einordnung der Geschichte des ÖRK in die Grundlinien der internationalen Geschichte erschweren. Dazu gehört beispielsweise das Bild, das der Ost-West-Konflikt auf der ökumenischen Agenda seit den 1960er Jahren durch den Nord-Süd-Konflikt abgelöst wurde oder auch die Ansicht, dass der Kalte Krieg ein Konflikt des Nordens gewesen sei – und er mit der Schwerpunktverlagerung zu den Kirchen des Südens und zur Entwicklungsthematik zwangsläufig an Relevanz in der Ökumene einbüßen musste. 21 Doch greift auch diese Erklärung zu kurz. Der Kalte Krieg war ein Katalysator für beinahe sämtliche Kriege und kriegerischen Konflikte in der „Dritten Welt“ (z.B. Koreakrieg, Indochina, Vietnam, Angola, Kongo, Suez-Konflikt etc.) wie auch in Lateinamerika. Neben anderen Faktoren, wie etwa der Dekolonisierung, der Entstehung eigener Nationalbewegungen, historisch gewachsener ethnischer Spannungen oder lokaler Machtrivalitäten wurzelte aber der Begriff und das Bild von einer „Dritten Welt“, die sich neutral und unabhängig von der Ersten und Zweiten Welt etablieren könne, direkt in der ideologischen Systemkonkurrenz zwischen der Sowjetunion und den USA. Analog zur UNO, in der seit den 1960er Jahren die Bewegung der Blockfreien, einen weltweit öffentliche politische Plattform fand, verstanden sich daher auch zahlreiche im Weltkirchenrat engagierte kirchliche Repräsentanten aus der „Dritten Welt“ in Afrika oder Asien, sowie aus Lateinamerika als eine politisch neutrale, aber antikolonialistische Kraft, obwohl selbstverständlich in ihren Herkunftsländern Amerikaner oder Sowjets gleichermaßen um politischen, wirtschaftlichen und militärischen Einfluss rangen. So entstanden in den langen 1960er Jahren neue Allianzen zwischen kirchlichen Vertretern der sogenannten Ersten, Zweiten und Dritten Welt und mit ihnen auch neue, nicht mehr primär auf Europa orientierte theologische und politische Akzente, etwa im Verständnis von Gerechtigkeit oder Sozialismus. Das führte einerseits dazu, dass spätestens seit den 1970er Jahren traditionelle antikommunistische Argumentationen im Ökumenischen Rat der Kirchen abgelöst wurden. Andererseits wurden aber zugleich auch die ökumenischen

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