Perspectief 2018-41

Perspectief 16 Dr. Katharina Kunter Begegnungen, Tagungen, Vollversammlungen und Konferenzen der Ökumene. Der Ost- West-Konflikt wurde zum Dreh- und Angelpunkt neuer gemeinsamer Aktivitäten. Hier diskutierten Kirchenfunktionäre, die auf östlicher Seitemeist sehr staatsloyal waren, häufig auf einem sehr abstrakten Niveau über verschiedene theologische Herausforderungen wie die Säkularisierung oder den Weltfrieden. Strittige Themen, wie die konkreten Menschenrechtsverletzungen oder die alltäglichen Repressalien für Christen in den sozialistischen Diktaturen, wurden aber in der Regel auf dieser Ebene ausgeklammert. Damit wurde seit den 1970er Jahren jedoch zugleich in Kauf genommen, dass die noch die 1950er und frühen 1960er Jahre in den meisten westlichen Kirchen und kirchlichen Kreisen dominante antikommunistische Perspektive nach und nach verlassen wurde. Die konkreten Repressalien und Einschränkungen, unter denen die Christen in Osteuropa zu leiden hatten, gerieten im Westen aus dem Blick. Zugleich aber brachte die Entspannungspolitik eine stärker von Partnerschaftlichkeit und gegenseitigem Lernen geprägte Perspektive. Wer sich auf protestantischer Seite in den Ost-West-Beziehungen engagierte, nahm den Dialog zumeist als ein Friedenskonzept sehr ernst. 10 Von Beginn an unterstützte der Ökumenische Rat der Kirchen dabei verschiedene kirchliche Initiativen für einen gesamteuropäischen Entspannungsprozess, wie offizielle Stellungnahmen von 1972 und 1973 verdeutlichen. 11 Der Furcht, von den weltlichen politischen Kräften beider Systeme unter dem Vorwand der Entspannungspolitik missbraucht und instrumentalisiert zu werden, versuchten die Mitglieder der Kommission der Kirchen für Internationale Angelegenheiten (KKIA; engl. Commission of the Churches on International Affairs; CCIA), der Abteilung des Ökumenischen Rates der Kirchen für die kirchliche Außenpolitik, dadurch zu begegnen, dass sie das europäische Menschenrechtsthema der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in einem globalen Kontext ansiedelten und behandelten. Als ein Beispiel dieser Strategie kann die 1973 im österreichischen St. Pölten stattgefundene ÖRK- Konsultation “Human Rights and Christian Responsibility” betrachtet werden, die einen Katalog von sechs grundlegenden Menschenrechten formulierte. Dieser, in ökumenischen Kreisen breit rezipierte Ansatz, versuchte ausdrücklich, über das westlich liberale und individuelle Menschenrechtsverständnis herauszukommen. 12 Die Bedeutung dieser Politik und der gleichzeitige Einfluss der Schlussakte von Helsinki kam schließlich auf der Fünften

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